Wie Sie Ihre Marke durch die Krise steuern
Sind wir mitten in der Krise oder fängt sie gerade erst an? Niemand weiß es. Sicher ist nur: Aus dem Chaos von heute entsteht die Welt von morgen. Für Unternehmen und Marken kommt es jetzt darauf an, schnell an Resilienz zu gewinnen und die Deutungshoheit über die eigene Lage zu behalten. Die Szenariotechnik kann helfen.
Im Oktober 1907 brachen die Banken in den USA zusammen, es kam zu Bank Runs und landesweiten Bankrotten. Für den erst 19-jährigen James E. Casey ein Schock, hatte er doch gerade wenige Wochen zuvor sein Unternehmen gegründet: die American Messenger Company. Er lieferte Pakete und Briefe selbst zu Fuß und per Fahrrad aus. Irgendwie kam er durch die harte Anfangszeit. Heute ist seine Gründung bekannt als United Parcel Service (UPS), die vielleicht bedeutendste Logistikfirma der Welt. Ähnlich lesen sich die Anfangsgeschichten von Microsoft oder Apple während der Ölkrise in den 1970ern. Die explodierenden Preise für Rohöl mündeten damals in eine gewaltige Rezession. Im zweiten Schritt führten sie aber zu mehr Effizienz in den Unternehmen und zu innovativen Formen der Energiegewinnung.
Keine Krise ist wie die andere
Die große Wirtschaftsgeschichte kann uns im Kleinen inspirieren: Als die Coronakrise 2020 in den ersten Lockdown führte, ermittelten wir als Agentur für einen unserer Kunden mögliche Krisenverläufe und denkbare Auswirkungen auf dessen Geschäft. Dabei fanden wir das richtige Zeitfenster für eine Online-Kampagne. Anzeigen auf den großen Online-Portalen waren bis zu 80 Prozent rabattiert, denn niemand wollte zu diesem Zeitpunkt werben. Aus unserer Sicht war das eine einmalige Gelegenheit! Thematisch richteten wir die Kampagne unseres Kunden auf die Menschen im Home-Office aus. Die Klickraten waren enorm, der Umsatz zog an und das Unternehmen bekam den entscheidenden Impuls, seinen Online-Store deutlich auszubauen – und beschleunigte die eigene digitale Transformation. Ein Glücksfall, erzielt das Unternehmen mittlerweile doch ein Drittel seines Umsatzes online.
Aus jeder Krise resultieren andere Herausforderungen, denen wir in Wirtschaft und Gesellschaft gegenüberstehen. Aktuell sind sie besonders dramatisch und die Folgen nicht abschätzbar. Klar ist, dass sich die Gewohnheiten von Kunden gerade schnell ändern und neue Märkte und Möglichkeiten entstehen. Doch im Nebel der Krise sind Chancen nur schwer zu erkennen. Das Trommelfeuer der Schlagzeilen über Krieg, Energienotstand und Inflation führt zu Angst. Wie das Kaninchen vor der Schlange verfallen wir in eine passive Starre. Diese Krise wird auf vielen Ebenen unumkehrbar sein. Umso stärker müssen wir schon jetzt die Handlungshoheit über unser Geschäft sichern und die kommunikative Deutungshoheit über unsere Lage behalten. Zukunft gestalten beginnt gerade in der Krise mit einer Reflexion der eigenen Rahmenbedingungen und Optionen. Es liegt dabei in der Verantwortung von jedem Einzelnen, wie wir uns selbst, als Team und als Unternehmen in dieser Lage schlagen. Wie kann das gelingen?
Szenarien für eine zukunftsfeste Kommunikation
Die Szenariotechnik aus dem Krisenmanagement hilft auch in Kommunikation und Marketing, sich auf die nächsten Monate und Jahre vorzubereiten. Tritt der Worst Case (oder der Best Case!) ein, liefert die Technik einen festen Grund, auf dem Teams und Unternehmen souverän, schnell und zielgerichtet handeln können.
In der Regel empfiehlt es sich, auf Basis der Ausgangssituation drei Szenarien zu entwickeln. Ein positives Extremszenario mit der günstigsten Zukunftsentwicklung, ein Trendszenario, das die heutige Situation fortschreibt und ein negatives Extremszenario, das die schlimmste Zukunftsentwicklung betrachtet. Dann bietet sich die Ausrichtung der weiteren Kommunikation anhand der folgenden Szenarien und Leitfragen an.
Optimistisches Extremszenario: Der Höhepunkt der Krise ist überschritten. Der Krieg weitet sich nicht aus, die Rohstoffprobleme sind weniger drastisch als befürchtet, die Inflation klingt langsam ab. Folgende Fragen zu diesem Szenario könnten sich Geschäftsführung und Marketing beispielsweise stellen:
- Welche Themen werden mit dem weiteren Abflachen der Krise für unsere Kunden und Mitarbeiter schnell (wieder) relevanter?
- Wie bereiten wir uns kommunikativ auf den Aufschwung nach der Krise vor?
- Welche Veränderungen setzen wir bewusst fort, welche können wir beenden?
Trendszenario: Die Krise wird noch Monate bleiben. Der Krieg in der Ukraine bleibt auf einem zermürbenden und furchtbaren Niveau, die Rohstofflage ist weiter angespannt, die Inflation hoch. Krise ist das neue Normal:
- Wie setzen wir Marketingbudgets effizienter ein?
- Wie begleiten wir unsere Mitarbeiter und Kunden in der Krise kommunikativ?
- Wie können unsere Marken in diesen unsicheren Zeiten Sicherheit und Vertrauen geben?
- Wie bleiben wir bei dauerhaft sinkender Nachfrage relevant?
Pessimistisches Extremszenario: Die Krise fängt erst richtig an. Der Krieg weitet sich aus, Lieferketten brechen, Rohstoffe werden noch teurer und die Inflation steigt weiter ungebremst:
- Wie überleben wir als Unternehmen und welchen Beitrag kann und muss Marketing dazu leisten?
- Wie wird unsere Marke trotz steigender Preise und Lieferengpässen schnell resilienter?
- Welche kommunikativen Notsituationen können eintreten und wie bereiten wir uns darauf vor?
Aus den Antworten lässt sich ein Framework ableiten, das für Best Case, Middle Case und Worst Case gleichermaßen handlungsleitend ist. Die Leitfragen hier können nur einzelne Schlaglichter werfen. Szenarien und Leitfragen sollten in jedem Fall individuell entwickelt und gestellt werden. Dabei ist nüchterner Realismus gefragt.
Mut machen die Beispiele aus der Vergangenheit. Wir sollten davon ausgehen, dass es auch nach dieser Krise eine Zukunft gibt. “The Only Thing We Have to Fear is Fear Itself”, wie schon US-Präsident Franklin D. Roosevelt wusste. Und er führte sein Land immerhin durch die Weltwirtschaftskrise und den 2. Weltkrieg.