Nicht KI, sondern Herz. Die Beatles bezaubern
Gestern ist mit “Now and Then” ein neuer Beatles-Song erschienen und begeistert seither Fans rund um den Globus. Überall spricht man von der KI, als wäre sie der neue fünfte Beatle. Das allerdings ist irreführend.
Vor etwa einem halben Jahrhundert, in seinem New Yorker Apartment, drückte John Lennon die Aufnahmetaste seines Kassettenrekorders. Das Tonband setzte sich in Bewegung, fing jeden Atemzug seiner Stimme ein, jeden Anschlag auf den vertrauten Tasten seines Klaviers. In dieser intimen Nische, abgeschirmt von kreischenden Fans und grellen Scheinwerfern, entstand eine Demoaufnahme – roh, authentisch, unverfälscht. Sie verstaubte in einer Schublade.
Spulen wir vorwärts, 50 Jahre in die Zukunft, in unsere Gegenwart. Wir betreten eine Ära, in der die Musikproduktion sich zunehmend in die Hände künstlicher Intelligenz begibt. Stimmen werden erzeugt, Melodien von Algorithmen erschaffen und ganze Produktionen ohne menschliche Intervention vollendet. In dieser Welt erscheint Lennons alte Aufnahme wie ein Relikt aus einer versunkenen Zeit – unfertig und zerbrechlich.
Doch es ist genau dieser Kontext, in dem sich das wahre Potenzial neuer Technologien offenbart – als Instrument der menschlichen Kreativität. Mit intelligenten neuen Filtern, die Produzent Giles Martin mit chirurgischer Präzision einsetzte, gelang es, Lennons Stimme von den begleitenden Klaviertönen zu isolieren und auf dieser Basis den Titel fertigzustellen.
Keine Generative KI, sondern echte Menschen
Das Ergebnis erstaunt. „Now and Then“ klingt, als hätte Lennon es erst gestern gesungen. Seine Stimme, klar und unverkennbar, wird durch die digitale Zeitmaschine in die Gegenwart katapultiert. Die Beatles wirken dabei wie ein frisches Ensemble. Lennons Stimme vereint mit Harrisons Gitarrenklängen, McCartneys Bass und Starrs Schlagzeug. Das Publikum weltweit ist entzückt, auch wenn der Song nicht zu den herausragenden im Beatles-Repertoire zählt. KI-basierte Filter haben dies lediglich ermöglicht, aber nicht geschaffen. Mit der generativen KI, deren Masseneinsatz noch bevorsteht, hat das allerdings überhaupt nichts zu tun – auch wenn die PR das suggeriert.
Schon bald werden verstorbene Superstars auf Knopfdruck neue Lieder singen, zugeschnitten auf jede erdenkliche Situation. Ohne eine zugrunde liegende Geschichte bleiben derlei Kreationen jedoch seelenlose Konstrukte. Unfähig uns so zu berühren, wie ihre realen Vorgänger es vermögen.
Denn trotz aller technischen Raffinesse lebt Kunst von den Geschichten, die sie erzählt – von Liebe und Freundschaft, von Freude und Verlust. Von den Unvollkommenheiten des menschlichen Daseins, wie bei den vier Jungs aus Liverpool. „Now and Then“ ist bedeutsames Beispiel dafür, dass das Wesen der Musik eben nicht in perfektionierten Bits und Bytes zu finden ist, sondern in den Geschichten, die sie vermittelt. Geschichten, die – einmal festgehalten – unsterblich werden können.
Weiterführende Literatur:
Tegmark, Max: Life 3.0 – Being Human in the Age of Artificial Intelligence
Levin, Daniel J.: Der Musik-Instinkt. Die Wissenschaft einer menschlichen Leidenschaft
Liao, Matthew S.: Ethics of Artificial Intelligence