Kommunikation: Die Lehren aus den Brexit-Kampagnen
Es ist eine historische Zäsur: Das EU-Referendum im Vereinigten Königreich war ebenso spektakulär in der Durchführung wie im Ausgang. Was hat zum Brexit geführt? Warum konnte das Remain-Lager die Mehrheit der Briten nicht hinter sich versammeln? Unser britischer Kollege Tom sucht nach Antworten.
Am 24. Juni wachte ich im Herzen Europas auf und erfuhr, dass meine Heimat Großbritannien die EU tatsächlich verlassen will. Als in Deutschland arbeitender Brite war die Nachricht ein Schock für mich. Vor allem, da die Umfragen am Vorabend eigentlich den knappen Sieg des Remain-Lagers vorausgesehen hatten. Sieht man genauer, gibt es zahlreiche Aspekte, warum die Ergebnisse so gekommen sind.
Das Referendum hatte ebensoviel mit Marketing zu tun wie mit Politik. Aus meiner Sicht gibt es vier Schlüsselfaktoren, die zum Brexit geführt haben.
1. Die Slogans
Die Kampagne der Brexit-Befürworter lief unter dem Motto “Let´s take back control”. Diese Botschaft adressiert klar und deutlich die unzufriedene Bevölkerung meiner Heimat. Sie suggeriert, dass eine Stimme für den Brexit eine Stimme für die Veränderung ist: eine Chance aufzustehen und es “denen da oben” zu zeigen. Migranten werden zum Sündenbock für Arbeitslosigkeit und die zunehmende Überlastung des nationalen Gesundheitssystems. Die EU-Mitgliedschaft wurde radikal vereinfacht auf “Geldverschwendung” reduziert. Wer möchte nicht die “Kontrolle” über sich selbst haben?
Im Gegensatz zu dem sehr aktiven, auffordernden Claim und den vermeintlichen Vorteilen des Brexits fuhr das “Remain”-Lager einen zurückhaltenden und eher beratenden Kurs. Die Botschaft hier war “Großbritannien ist stärker, sicherer und besser aufgehoben in Europa” und alle Änderungen seien ein “Sprung ins Dunkle”. Doch was war mit den positiven Dingen der EU? Fehlanzeige. Die Kampagne stand weder für die Werte ein, für die Europa steht, noch argumentierte sie offensiv mit den Vorteilen von Migration. Angst ist kein guter Ratgeber. Sie erobert keine Herzen – und erreichte die Mobilisierung der jungen Leute meiner Generation offenbar überhaupt nicht, für die Europa einfach absolut selbstverständlich ist.
2. Die Persönlichkeiten
Nigel Farage und Boris Johnson führten die Brexit-Kampagne an. Farage, seit Jahren als Anti-EU-Scharfmacher bekannt, gefürchtet und oft auch belächelt. Ideal für die Zielgruppen am rechten Rand. Und für das bürgerliche Lager war Boris Johnson zuständig. Als amüsanter Exzentriker verharmlost, gab erst Johnsen der Leave-Kampagne einen positiven und unterhaltsamen Spin. Wähler sollten die “Pessimisten ignorieren” und er versprach, Großbritannien könne werden wie Kanada.
Auf der anderen Seite führte David Cameron das Remain-Lager an. Ein Premierminister, der sich das unselige Referendum aus parteiinternen Zwecken erst ausgedacht hatte. Seine mutmaßliche Beteiligung an fragwürdigen Steuertricks (enthüllt durch die Panama-Papers) beschädigte Camerons Image nachhaltig. Dazu trug auch das berüchtigte Pig-Gate bei: Fotos abstoßender Aufnahmerituale aus Camerons Studienzeit bestimmten die Schlagzeilen über die Landesgrenzen hinweg. Den Wählern wurde geradezu unter die Nase gerieben, dass Cameron ein Mann für die Eliten ist. Selbst mir als überzeugtem EU-Anhänger fiel es schwer, ihn zu unterstützen.
3. Die Taktiken
Mittlerweile dürfte sogar jeder politisch Interessierte auf dem Festland den großen, roten Bus mit dem 350 Millionen-Pfund-Versprechen kennen. Wie steht es mit dem Guerilla-Marketing-Ansatz Angel of the North? Die symbolträchtige Skulptur hatten Leave-Anhänger zur Werbefigur umgestaltet, indem sie das Kampagnenmotto per Beamer auf die Engelsflügel projizierten. Auch, wenn viele Versprechen mittlerweile gebrochen sind: Die Kampagne war hart und traf punktgenau ins Ziel.
Bei Remain sah es dagegen traurig uninspiriert aus. Auf dem Papier mag sie gut ausgesehen haben, die “Talk to Gran”-Kampagne floppte dennoch total. Das Wahlkampfteam verteilte mit EU-Werbeversprechen bedruckte Postkarten an junge Wähler, in der Hoffnung, dass sie diese an ihre Großeltern verschicken und so auch die ältere Generation erreichen würden. Doch die Idee wurde schlicht als herablassend empfunden.
4. Die Medien
Die Yellow Press auf der Insel ist bekannt für ihre Schärfe und Sensationsgier. Die Mehrheit der Zeitungen unterstützte die Leave-Kampagne mit emotionalen, oft irreführenden Überschriften. Vor allem Rupert Murdochs Medienimperium tat sich hier hervor. Seit den Ergebnissen dreht sich das Bild.
Im Gegensatz zu den Printmedien blieb die BBC blass. Sie schaffte es nicht, die Falschbehauptungen und Unwahrheiten der Brexit-Kampagne als solche offenzulegen – und das als wichtigstes Informationsmedium der britischen Öffentlichkeit. Übrig blieb das Gefühl, dass der Brexit ohnehin nicht passieren werde. Eine gravierende Fehleinschätzung.
Was lernen wir von den Kampagnen? Die wichtigste Lektion ist: Pessimismus und Angst reichen nicht, um Massen zu mobilisieren. Eine erfolgreiche Kampagne sollte sich auf seine Stärken berufen und der Zielgruppe greifbare Vorteile und eine positive Botschaft aufzeigen. Remain hat es nicht geschafft, die Massen zu erreichen.