Führung im Leistungssport: Jens Rasiejewski über Fußball, Teambuilding und Erfolgsdruck
Ein Team zur Zusammenarbeit mobilisieren, motivieren und weiterentwickeln – trotz Erfolgsdrucks und ständig wechselnder Mitglieder? Vor dieser Herausforderung steht Jens Rasiejewski jede Saison. Der 46-jährige ehemalige Profifußballer und jetzige Leiter des Nachwuchsleistungszentrums der TSG 1899 Hoffenheim war zu Gast in unserer Agentur und sprach über gute Führung in einer neuen Zeit.
Etwa 20 Jahre ist es her, da fand im Fußball eine grundlegende Veränderung statt. Um das Jahr 2000 stiegen die Zuschauerzahlen deutlich an, die Medienpräsenz wuchs und das Geschäft boomte. Der Erfolgsdruck nahm zu. Vereine entwickelten sich zu Unternehmen, die Trainer zu Managern und die Zuschauer zu Investoren. Durch diese enorme Professionalisierung stand nun in der Ausbildung der Spieler immer stärker die Performance im Vordergrund, nicht der Spaß am Spiel oder die Ausbildung der eigenen Persönlichkeit.
Dabei sind gerade diese beiden Punkte entscheidend, um wirklich eine erfolgreiche Karriere im Profisport absolvieren können – sagt Jens Rasiejewski, der Bundesligaerfahrung in Frankfurt, Hannover und bei St. Pauli gesammelt hat. Der „Zertifizierungswahn“, wie er es nennt, führe bei den Spielern zu einem enormen Druck und der Angst, den Anforderungen nicht zu genügen. „Die Spieler befinden sich dadurch praktisch im ‚Dauerüberlebensmodus‘“, erklärte Rasiejewski. Echtes Wachstum sei hier nicht möglich und die Entwicklung des Fußballs und der Spieler bliebe auf der Strecke. Für ihn als Trainer sei klar gewesen: Hier muss sich etwas ändern.
Die goldene Mitte
„Gerade im Profifußball sind Ergebnisse für den Erfolg natürlich zentral“, führte Rasiejewski weiter aus. „Doch ebenso wichtig sind die Leidenschaft und die Begeisterung beim Spiel. Ohne Siegermentalität geht hier nichts.“ Was sich also verändern muss, ist weniger das Messen von Erfolg, sondern die Definition.
„Wir brauchen eine Balance zwischen Disziplin und Freiheit, zwischen Leistung und Leidenschaft“, erläuterte Rasiejewski. Er nannte es die „Suche nach dem dritten System“. Dabei stehe das erste System für das Spiel und seine Regeln an sich, das zweite System für das Training und das dritte System für die Führung. Bisher sei dieser letzte Aspekt im Fußball noch zu kurz gekommen. „Im Zentrum steht die Frage: Wie kann ich mein Team motivieren, weiterentwickeln und zu Höchstleistung anspornen? Die Antwort: Indem ich mich auf jedes Teammitglied einzeln einstelle.“ Doch dabei ergibt sich auch eine neue Herausforderung.
Von vertikal zu horizontal
Nicht zuletzt durch Globalisierung und Digitalisierung hat die Welt ein neues Verständnis von Autorität entwickelt. Statt blind zu folgen, wird jede Aussage hinterfragt, denn Wissen gibt es durch das Internet immer und überall. Es gab einen Wandel von der hierarchischen zur gegenseitigen Kontrolle – von vertikal zu horizontal. „Wenn ich etwas Falsches erzähle, können meine Spieler das ganz leicht herausfinden und mich damit konfrontieren. Früher war das anders: Was der Lehrer gesagt hat, war Gesetz“, schmunzelte Rasiejewski. Mit diesem veränderten Autoritätsverständnis müssen besonders Führungskräfte lernen, umzugehen. Nicht mehr das strikte Funktionieren und das Abarbeiten von Befehlen steht im Fokus, es geht um Partizipation, Wertschätzung, Beziehungsaufbau und Vernetzung. Dazu zählt auch, den Spielern auch dann auf Augenhöhe zu begegnen, wenn es einmal nicht läuft und ihnen ehrliches Feedback zu geben. Auch eine Trennung könne wertschätzend ablaufen.
Abschließend ließ Rasiejewski die Anwesenden noch an einer Umfrage teilnehmen. Alle sollten drei Attribute nennen, die eine gute Führungskraft auszeichnen. Der Konsens? Gute Führung passiert mit dem Herz, nicht mit dem Kopf. Eine Parallele, die sich in allen Bereichen unseres Lebens wiederfindet – sowohl im Fußball als auch im Unternehmensalltag.